L’Osteria Grande Amore

Ob Italien „die unangefochtene Mutter aller Küchen“ ist, wie Fernsehkoch Holger Stromberg in seinem Vorwort für L’Osteria Grande Amore für sich feststellt, lassen wir einmal dahin gestellt. Ganz sicher aber hat die Küche der L’Osteria von Friedemann Findeis und Klaus Rader, den Gründern des L’Osteria-Imperiums, das Zeug dazu, die Grande Amore nicht nur von Italien-Fans zu werden. Denn wie die Autorin Diana Binder sowie der Fotograf und Grafik-Designer Atabak Etedali die Geheimnisse der L’Osteria-Küche gelüftet und die Rezepte in Szene gesetzt haben, lässt einem schon das Wasser im Munde zusammenlaufen. Dabei orientiert sich das Buch am klassischen Aufbau italienischer Speisekarten: Insalata, Antipasti & Co., Pasta & Co., Pizza, Dolce und Aperitivi. Das Ganze wird gewürzt mit Stories, Insiderwissen sowie Facts und Mythen, was von Goldenen Regeln beim Kauf eines Olivenöls bis hin zu den wichtigsten Zutaten der italienischen Küche geht. Es ist ja immer ausgesprochen subjektiv, welche Rezepte man sich bei so einem Buch rauspickt. Aber mir als ebenfalls bekennendem Liebhaber der italienischen Küche haben es der gegrillte Radicchio, die Linguine al Limone, die Pizza Salsiccia Fresca, die Panna Cotta Espresso und der Negroni besonders angetan. Alle Rezepte sind, wie es auch sein sollte, in jeder Küche leicht umzusetzen, so dass die Liebe (zur L’Osteria-Küche) ungetrübt durch den Magen gehen kann. Womit einmal mehr auch eines der schönste Zitate über die italienische Küche seine Bestätigung gefunden hat: „La cucina piccola fa la casa grande.“

L’Osteria & DIana Binder, L’Osteria Grande Amore
Callwey, München, 2024, 208 Seiten, 39,95 Euro, ISBN: 978-3-7667-2743-5

Herr Raue reist

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was (v)erzählen“, wusste schon Matthias Claudius anno 1786, als er in seinem Gedicht einen gewissen Herrn Urian von dessen Reiseerlebnissen erzählen lässt. Doch während dieser Reisebericht eher der Schilderung eines Horrortripps gleicht, erscheinen die Reiseerzählungen eines gewissen Herrn Raue knapp 250 Jahre später eher wie die Choreographie einer Traumreise. Dabei ist „Herr Raue reist“ nicht nur ein bemerkenswertes Kochbuch, das die gleichnamige Fernsehserie einmal mehr erlebbar macht. Es ist auch ein sehr persönliches Tagebuch, in dem der Zwei-Sterne Koch aus Berlin seine Leser so nah an sich heranlässt wie selten. Das fängt schon mit dem Vorwort an, das ungewöhnliche wie tiefe Einblicke in dessen Seelenleben gewährt. Doch eingefleischten Fans von Tim Raue wird es eher um die 90 Rezepte gehen, mit denen der Spitzenkoch den 18 Destinationen, die er für die Fernsehserie besucht hat, die Ehre erweist. Amerika mit Vancouver, New Orleans, Mexico City, Havanna und Rio de Janeiro, Afrika mit Marrakesch und Kapstadt, Europa mit Lissabon, Madrid, Lyon, St. Moritz, Sizilien, Warschau und Kreta sowie Asien mit Istanbul, Phuket, Singapur und Tokio sind dabei die Inspirationsquellen für die Rezepte, die allesamt zum Nachkochen gedacht sind. Auch wenn das eine oder andere Rezept selbst für fortgeschrittene Hobbyköche eine echte Herausforderung darstellen dürfte, ist kein einziges Rezept dabei, in dessen Wesenskern man nicht eindringen möchte. Als Liebhaber der asiatischen Küche haben es mir besonders die Rote-Bete-Schweinebauch-Dim-Sum und das Sushi nach Hausfrauenart angetan, gefolgt von weniger aufwendigen Gerichten wie Ramiro’s Garnelen im Sud oder Leberpaté mit Tomatensauce und Zitronenthymian. Aber auch der leicht zu bewältigende Kabeljau-Auflauf Bacalao oder der Frischkäse à la Sophie lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Auch wer Raue nicht nur nachkochen, sondern auch nachreisen will, hat Glück. Denn zu jedem Reiseziel gibt es besondere Tipps und Hinweise, die sicherlich nicht in jedem Reiseführer stehen. Während das Gedicht von Claudius mit der unmissverständlichen Aufforderung endet, „Da hat Er übel übel dran getan; Verzähl er nicht weiter Herr Urian!“, möchte man Herrn Raue zurufen: „Das waren keine Rezepte gar flaue; mache er bloß weiter Herr Raue!“

Tim Raue, Herr Raue reist
Callwey, München, 2023, 304 Seiten, 39,95 Euro, ISBN: 978-3-7667-2610-0

Modernist Cuisine at Home

Das Buch ist eine Offenbarung. Jeder, der auch nur einen Funken Leidenschaft fürs Kochen in sich hat, wird begeistert sein. Dabei geht es noch nicht einmal um das Vorgängerwerk “Modernist Cuisine – Die Revolution der Kochkunst”. Das wird wohl mit seinen 2.438 Seiten, die auf sechs Bände verteilt sind, für alle Zeiten das Maß aller Dinge in Sachen Kochen bleiben. Nein, hier ist jetzt die Rede von “Modernist Cuisine at Home”, das – ohne auch nur den Anschein eines Kondensats zu erwecken – locker mit dem Qualitätsanspruch des Ursprungswerkes mithalten kann. Papier, Druck und Bindung sind ebenso überzeugend wie die Inhalte, die im wahrsten Sinne mit faszinierenden Schnittbildern von Apparaten und gleichermaßen einprägsamen Schritt-für-Schritt-Fotos glänzen. Auch das Rezepthandbuch wurde wieder auf abwaschbarem, wasserabweisendem Papier gedruckt. War schon der Vorläufer nicht nur für Profis, werden sich auch bei diesem Werk blutige Anfänger und Kochnovizen ebenso wie versierte Hobbyköche ziemlich schnell wohlfühlen und nachvollziehen können, worum es es in diesem Buch und worum es den Autoren geht. Teil 1 dreht sich um das A und O der modernistischen Küche und konzentriert sich dabei auf Küchengeräte, Sous-Vide-Garen und Zutaten. Da wird dann schon mal ein Fisch in der Küchenspüle und ein Steak in der Kühlbox gegart. Teil 2 enthält dann 406 Rezepte, die weit über das übliche Maß von Kochbüchern hinausgehen. Die Vision von Modernist Cuisine zieht sich wie ein roter Faden auch durch Modernist Cuisine at Home, das damit ein Kompendium ist für alle, die einen ersten Schritt in die modernistische Küche wagen wollen. Wer dann ganz hinein gehen will, wird um die sechs Bände nicht herum kommen. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie … am besten einen Koch oder Lebensmittelhändler.

Nathan Myhrvold & Maxim Bilet, Modernist Cuisine at Home
Taschen, Köln, 2017, 688 Seiten, 99,00 Euro, ISBN 978-3-8365-4648-5

My Way

Es ist schon bemerkenswert, wenn in einer Autobiografie mit dem Titel My Way das erste Bild des Protagonisten erst auf Seite 24 zu sehen ist und gerade einmal eine Größe von 4,2 x 6,2 Zentimeter aufweist. Aber Tim Raue hat es auch nicht nötig, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Denn mit seiner durch zwei Sterne ausgezeichneten Küche hat er es als bester Deutscher auf Platz 34 von The World´s 50 Best Restaurants geschafft. Darauf kann er zu recht stolz sein, war sein Weg dorthin alles andere als vorgezeichnet. Und so erzählt das Buch, wie er selber sagt, seine Geschichte, seinen Weg „aus der Gosse in Kreuzberg in den kulinarischen Sternenhimmel. Es ist der Weg eines kleinen Berliner Jungen, der mit preußischem Fleiß, Willensstärke, Ehrgeiz, Disziplin und Struktur den Stromschnellen und Abgründen des Lebens trotzte und zu einem der besten Köche der Welt wurde.“ Die Auswahl der Zitate spiegelt dabei in trefflicher Weise seine Entwicklung wider. Da heißt es auf Seite 44, auf der Raue seine ersten kulinarischen Gehversuche beschreibt: „Ich hatte etwas gefunden, worin ich gut war, und ich erkannte in der Küche rasch etwas anderes: Ich konnte ein Tempo gehen und das über einen Zeitraum, den die meisten anderen nicht hinbekamen.“ Ein wenig später ist zu lesen: „Ich lernte, dass man seine Wünsche zuerst auch mit einem Lächeln vortragen konnte und dass diese Methode durchaus auch zum Ziel führte.“ Zur „Küchenbande“ im SWISSÔTEL schreibt er: „Ich schuf eine Gang, wie ich es schon als Jugendlicher von den 36 Boys gekannt hatte.“ Wer Raues Küchenphilosphie verstehen will, braucht eigentlich nur das Zitat auf Seite 60 zu lesen: „Hier zelebrierte ich meine Idealvorstellung aus thailändischer Aromatik, japanischer Produktperfektion und kantonesisch-chinesischerm Yummy-Essen.“ Dass er dabei „den Teil der Gäste aus den Augen verlor, der mich groß gemacht und der mir immer die Stange gehaltten hatte: Die Berliner“, erkannte er im MA TIM RAUE nicht, wusste diesen Fehler aber im RESTAURANT TIM RAUE zu vermeiden, denn dort, so schreibt er, „zelebriere ich, was ich am besten kann: Ich übersetze bestehende Gerichte in die Hochküche. Exemplarisch dafür steht der Wasabi-Kaisergranat, mein Signature-Gericht.“ Dieses Rezept ist denn auch eins von 70 seiner besten Rezepte, die er in dem Buch neben 40 Grundrezepten präsentiert und zu denen eine Japanische Tuna Pizza ebenso gehört wie Kaviar & Berliner Senfei. Dieses sehr persönliche Kochbuch gibt den Weg frei für einen Blick in Tim Raues Welt, die er als „egozentrisches Universum, völlig subjektiv und unangepasst“ bezeichnet, die aber auch wohl eines der genialsten kulniarischen Versuchslabors unserer Zeit darstellt.

Tim Raue, My Way
Callwey, München, 2017, 288 Seiten, 49,95 Euro, ISBN: 978-3-7667-2265-2