Herr Raue reist

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was (v)erzählen“, wusste schon Matthias Claudius anno 1786, als er in seinem Gedicht einen gewissen Herrn Urian von dessen Reiseerlebnissen erzählen lässt. Doch während dieser Reisebericht eher der Schilderung eines Horrortripps gleicht, erscheinen die Reiseerzählungen eines gewissen Herrn Raue knapp 250 Jahre später eher wie die Choreographie einer Traumreise. Dabei ist „Herr Raue reist“ nicht nur ein bemerkenswertes Kochbuch, das die gleichnamige Fernsehserie einmal mehr erlebbar macht. Es ist auch ein sehr persönliches Tagebuch, in dem der Zwei-Sterne Koch aus Berlin seine Leser so nah an sich heranlässt wie selten. Das fängt schon mit dem Vorwort an, das ungewöhnliche wie tiefe Einblicke in dessen Seelenleben gewährt. Doch eingefleischten Fans von Tim Raue wird es eher um die 90 Rezepte gehen, mit denen der Spitzenkoch den 18 Destinationen, die er für die Fernsehserie besucht hat, die Ehre erweist. Amerika mit Vancouver, New Orleans, Mexico City, Havanna und Rio de Janeiro, Afrika mit Marrakesch und Kapstadt, Europa mit Lissabon, Madrid, Lyon, St. Moritz, Sizilien, Warschau und Kreta sowie Asien mit Istanbul, Phuket, Singapur und Tokio sind dabei die Inspirationsquellen für die Rezepte, die allesamt zum Nachkochen gedacht sind. Auch wenn das eine oder andere Rezept selbst für fortgeschrittene Hobbyköche eine echte Herausforderung darstellen dürfte, ist kein einziges Rezept dabei, in dessen Wesenskern man nicht eindringen möchte. Als Liebhaber der asiatischen Küche haben es mir besonders die Rote-Bete-Schweinebauch-Dim-Sum und das Sushi nach Hausfrauenart angetan, gefolgt von weniger aufwendigen Gerichten wie Ramiro’s Garnelen im Sud oder Leberpaté mit Tomatensauce und Zitronenthymian. Aber auch der leicht zu bewältigende Kabeljau-Auflauf Bacalao oder der Frischkäse à la Sophie lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Auch wer Raue nicht nur nachkochen, sondern auch nachreisen will, hat Glück. Denn zu jedem Reiseziel gibt es besondere Tipps und Hinweise, die sicherlich nicht in jedem Reiseführer stehen. Während das Gedicht von Claudius mit der unmissverständlichen Aufforderung endet, „Da hat Er übel übel dran getan; Verzähl er nicht weiter Herr Urian!“, möchte man Herrn Raue zurufen: „Das waren keine Rezepte gar flaue; mache er bloß weiter Herr Raue!“

Tim Raue, Herr Raue reist
Callwey, München, 2023, 304 Seiten, 39,95 Euro, ISBN: 978-3-7667-2610-0